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ATLANTIC CANADA / NEW BRUNSWICK
          Das ist spätestens bekannt, seit Patricias Groß vater,
 Wälder der Mi’kmaq:    Joseph Augustine, in den 1970er-Jahren gleich
 am Little Southwest   zwei sensationelle Entdeckungen machte: Unweit
 Miramichi River.
          des Ufers stieß er zunächst auf einen uralten Fried-
          hof der Ureinwohner, der später Augustine Mound
          getauft wurde. Wenige Jahre später fand er rund
          700 Meter weiter westlich die Relikte eines verges-
          senen Fischerdorfes, die Oxbow Site.
            Die ausgegrabenen Speerspitzen, Knochen,
          Krüge und  Artefakte belegen, dass die Mi’kmaq
          bereits seit Jahrtausenden auf diesem Land ansässig
 Zu Gast bei   sind. Lange bevor die weißen Siedler kamen, fisch-

          ten sie hier im Fluss, jagten in den Wäldern und
          zogen ihre Kinder groß. Beide Fundstätten gelten
     den Mi’kmaq  heute als National Historic Sites und die Mi’kmaq
          sind ihre offiziellen Wächter.
          D
                 er Augustine Mound bildet das Herzstück
                 des Metepenagiag Heritage Park. Mit
                 viel Herzblut leitet Patricia das kulturelle
          Zentrum, das vor rund 14 Jahren errichtet wurde.
          Für die vierfache Mutter sind die archäologischen
          Ausgrabungen bedeutsame Meilensteine, die ein  Foto: Kirsten Bungart
          kulturelles Beben unter ihrem Volk auslösten. „Als
          mein Großvater die Funde machte, war den meis-
          ten gar nicht bewusst, wie sehr unsere Kultur gelit-
          ten hatte“, sagt sie.
            „Zu jenem Zeitpunkt hatten wir aufgehört, unsere   Patricia Dunnet be-  nungsstätte und Treffpunkt für die Metepenagiag-
          Sprache zu sprechen und die alten Bräuche zu pfle-  reitet die Feuerstelle   Mi’kmaqs. Besucher können in einer interaktiven
 Im Metepenagiag Heritage Park in
                                                    vor oben), um darin
 Fotos: Kirsten Bungart  New Brunswick können sich Besucher   dass unsere Traditionen falsch seien. Aber plötz-  Elchfleisch zu garen und   viel über die Traditionen der First Nation erfahren.
                                                                         Dauerausstellung die Fundstücke begutachten und
          gen.  Denn  lange  Zeit  hatte  man  uns  eingebläut,
                                                    traditionelle Gerichte aus
                                                    Brot zu backen.
          lich änderte sich das – mit den Funden kam neues
 auf kulturelle Spurensuche begeben und
                                                                           Wer will, kann den Archäologen sogar bei der
                                                                         Arbeit zuschauen. Denn noch immer treffen regel-
          Leben in unsere Gemeinschaft. Als wir erfuhren, dass
                                                    Das Brot der Mi’kmaq,
 in das Leben der Ureinwohner eintau-
                                                    frisch aus dem heißen
 chen: im Tipi übernachten,  traditionelles   unsere Vorfahren schon vor mehr  als 3.000 JJahren   das Luskinikn, kommt   mäßig kleine Schätze aus der Umgebung ein, die
                                                                         hier untersucht werden. Manche entpuppen sich
          hier gelebt haben, haben wir begriffen, dass es vieles
                                                    Sand der Feuerstelle
 Brot backen und den uralten  Geschichten    gibt, worauf wir stolz sein können und sollten.“  (unten).   als kurios geformte Steine, doch hin und wieder
 der Elders lauschen.    Der Heritage Park ist nicht nur ein geschichts-  sind echte  Pfeilspitzen darunter.
          trächtiger Ort, sondern auch eine kulturelle Begeg-              E s gibt nicht nur Historisches zu bestaunen:
                                                                         Alle Mitarbeiter des Parks gehören der Mi’kmaq-
                                                                         Gemeinde  an.  Zusammen  pflegen  sie  nicht  nur
 B                                                                       gegenseitig, die Kultur lebendig zu halten. Gerade
                                                                         das Erbe ihres Stammes, sondern helfen sich auch
 ehutsam schiebt Patricia Dunnett glühend
 heißen Sand über den frischen Brotteig,
                                                                         die Elders, die ältere Generation, spielen dabei
 den sie gerade in die Glut gelegt hat, die
 Luft über der Kuhle flirrt. Dann bedeckt sie das                        eine wichtige Rolle. Denn nur noch einige wenige
                                                                         Mi’kmaq beherrschen ihre Sprache fließend. Über
 Luskinikn, das traditionelle Brot der Mi’kmaq,                          Jahrzehnte war es verpönt, sie zu sprechen.
 vorsichtig mit Erde. „Das wird köstlich“, sagt sie
 strahlend.                                                              D
                                                                                ie Menschen schämten sich, einem indi-
 Hinter ihr liegt ein mit Zedern und Birken                                     genen Volk anzugehören, sodass heute
 bewachsener Hang mit einem atemberaubenden                                     nur noch 85 der rund 600 Mi’kmaq in
 Blick über den Fluss. In weiten Schleifen windet                        Metepenagiag die Sprache ihrer Ahnen sprechen
 sich der Little Southwest Miramichi River durch                         können. „Als wir klein waren, wuchsen wir in
 das dichte Grün von Metepenagiag. Das Reservat   Foto: Tourism New Brunswick.   einem Mi’kmaq-Haushalt auf. Wir sprachen nur
 Die Elders Marion Salomon und    ist die älteste Mi’kmaq-Gemeinde in New Bruns-  Mi’kmaq und kein Englisch. Erst als wir in die
 Annie Mae Morrison wollen das   wick. Seit mehr als 3.000 Jahren hat diese First   Schule kamen, lernten wir richtig Englisch“, erin-
 Erbe der Mi’kmaq lebendig halten.
 Nation hier ihre Heimat.                                                nert sich Elisabeth Powell, Patricias Mutter.
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