Page 33 - KANADA Magazin 2024
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Jahr Mitte Dezember auf der Ter-  des Kalkgesteins, durch das sich der   ter. Während Autos noch zu Beginn
               rasse errichtet. Aber weil die Kana-  Johnston  Creek  seit  Jahrtausenden   des 20. Jahrhunderts dank der Vor-
               dier ein ziemlich winterhartes Volk   fräst, und bald gesellt sich zum Knar-  herrschaft der Eisenbahn im Park
               sind und die meisten Aktivitäten   zen des Schnees unter unseren Schrit-  verpönt waren, dominieren sie längst
               auch bei Minusgraden im Freien   ten das Gluckern des vereisten Bachs.  den Besucherverkehr. Zwar kann
               stattfinden, reist man sowieso am                              man noch immer mit der Bahn anrei-
               besten mit mehreren Kleidungs-     mmer wieder erhaschen wir   sen, allerdings gelangt man etwa mit
               schichten sowie Hand- und Fußwär-  im Schein unserer Kopflampen   dem Rocky Mountaineer nur nach
               mern an, wenn man einige der Win- I einen Blick auf das türkisfarbene   Calgary, eineinhalb Stunden östlich,
               terabenteuer nicht verpassen will.   Wasser, das durch Löcher im Eis   oder nach Jasper, gute drei Autostun-
               Zum Beispiel eine Nachtwanderung   rauscht. An den Klippen gegenüber   den nordwestlich.
               im Johnston Canyon.            leuchtet unser Führer Eisfälle an, die   Dafür nennt der Park mit dem
                 Wer sich von dem Gedanken an   wie kristallblaue Gewänder über die   Icefields Parkway eine der schöns-
               einen Spaziergang in eine vereiste   Felsen drapiert sind. Sie entstehen,   ten Panoramastraßen der Welt sein
               Schlucht nach Einbruch der Dunkel-  erklärt  er  uns,  wenn Wasser  beim   eigen. Die 230 Kilometer lange Stre-
               heit und bei minus 20 Grad abschre-  Gefrieren aus dem Gestein gedrückt   cke verbindet Lake Louise mit dem
               cken lässt, versäumt ein echtes Erleb-  wird und sich „Tränen“ bilden, die   Jasper-Nationalpark nordwestlich
               nis. Als wir uns unter der Anleitung   zu Eisfällen gefrieren. Angesichts   von Banff, der mit 11.000 Quadrat-
               unseres Guides die Krampen unter   dieser vielfarbigen, mondbeschie-  kilometern fast doppelt so groß ist.
               die Stiefel schnallen, schimmern die   nenen Eispracht geraten die Tempe-  Seit 1940 kann man diese Straße
               Sterne durch die Wipfel der Kiefern,   raturen in Vergessenheit. Das tut der   befahren, und noch heute reist man
               die den Canyon einrahmen.      Tatsache keinen Abbruch, dass unser   am besten mit vollem Tank und Not-
                 Ein beinahe voller Mond zaubert   Guide am Ende der Wanderung mit   fallausrüstung.
               lange  Schatten  in  den Schnee,  bis   heißer Schokolade und selbstgeba-  Die Strecke führt durch eine berü-
               wir ihn schließlich hinter den hohen   ckenen Keksen aufwartet.   ckende, eisige Wildnis abseits jedwe-
               Klippen der engen Schlucht verlie-  Der Banff-Nationalpark umfasst   der Zivilisation. Wir sind dann doch
               ren. Ein schmaler Steg führt entlang   heute mehr als 6.500 Quadratkilome-  froh, im warmen Innern eines Autos



                Foto: Nina Rehfeld






































               Fenster mit Postkartenblick: Die Gipfel der Queen Elizabeth Ranges spiegeln sich im Maligne Lake.

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