Page 29 - KANADA Magazin 2023
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BRITISH COLUMBIA  einen vor dem stärksten Regen-    Library und im Pointe Restaurant –   mir ins Gesicht peitschte, machte mir
 Foto: Destination Canada/Brian Caissie  Foto: Tourism Vancouver Island/Ben Giesbrecht  schauer schützen, war eine willkom-  Letzteres mit einem 270-Grad-Rund-  wenig aus.


          mene Herausforderung.
                                                                           Angetrieben vom erhöhten Adre-
                                          umpanorama auf das Treiben unter-
                                                                         nalinpegel fühlte ich mich lebendig,
                                          halb des Restaurants – haben die Leute
            Meine Outdoor-Ausbildung nahm
          ihren weiteren Lauf, doch es gab
                                          im Wickaninnish Inn dafür gesorgt,
                                                                         frei. Obwohl ich nur ein winziger Teil
                                                                         des großen Ganzen war, fühlte ich
          immer wieder Momente, in  denen
                                          dass man dieser Beschäftigung mühe-
                                                                         mich vollkommen als Teil der Natur
                                          los nachgehen kann.
          ich all diesen Regen infrage stellte
          (und auch meine gepunkteten Gum-
          mistiefel – ein Spontankauf). Meine
                                                                         auf habe ich gelernt, den Regen zu lie-
                                              er Zeitraum zwischen Novem-
          Vorbehalte schmolzen jedoch dahin,  D ber und Februar ist in BC als
                                                                         ben. Die immergrüne Vegetation,
                                                                         sogar an den härtesten Wintertagen.
          als mir bewusst wurde, dass die   Stormwatching-Saison bekannt. An   und ihrer Kräfte. In den Jahren dar-
          Bewohner der Westküste von der   dieser den Naturgewalten ausgesetz-  Die stillen Momente, in denen die
          Idee der Gemütlichkeit besessen sind   ten Küste, an der zwischen der West-  Sonne, durch einen leichten Regen-
          und die grundlegenden Prinzipien   küste British Columbias und Japan   schauer erleuchtet, aus den Wolken
          von  „Hygge“  verinnerlicht  hatten,   weit und breit keine Landmasse in   hervorbricht. Das Toben eines
          lange bevor den Nordamerikanern   Sicht ist, ist das Sturmbeobachten   Sturms, das mein Herz immer noch
          dieses dänische Wort überhaupt ein   unter Garantie ein Schauspiel. Ich   Sprünge machen lässt.
          Begriff war.                    öffnete das Fenster nur einen Hauch   Das Wetter zwingt  mich nicht
            Die Suche nach einem geeigneten   und schon schwappte das Donnern   mehr nach drinnen zu gehen, es sei
 Raues Meer, wilde Wellen: Die Westküste ist beliebt bei   Unterschlupf ist in BC ein ernstzu-  des Ozeans ins Zimmer.  denn, ich will es. Stattdessen stelle
 Surfern (links). Danach geht’s ins Warme zur Bierverkos-
                                                                         ich mich den Elementen und staune
                                            Bald fühlte ich mich mutig genug,
          nehmendes und leidenschaftlich
 E  s war ein Dezembertag in Van-  War das der Regen, von dem ich   Leben gerufen von einem naturbe-  Ritualen nach einer Unternehmung   stiefel überzuziehen, die den Gästen   und Erneuerung. Und ihrer Verhei-
 tung (oben).
                                          um die Regenkleidung und Gummi-
                                                                         über ihr Versprechen von Wachstum
          betriebenes Unterfangen. Zu den
                                          zur Verfügung gestellt werden. Das
          an  der  frischen  Luft  zählen  das
                                                                         ßung von Neuanfängen – wie an
                                                                           diesem längst vergangenen Dezem-
 gehört hatte? Jene Tage, die von
          Umklammern einer dampfenden,
                                          Ufer war mit Baumstämmen übersät,
 couver: Ich saß in einem Taxi auf
 geisterten Menschenschlag, der es
                                                                         bertag.  |
 unnachgiebigem Nieselregen unter
                                          der Ozean wogte und der Regen, der
 dem Weg vom Flughafen ins
          wärmenden Tasse oder das (buch-
 versteht, die Vorzüge des Regens mit
 Zentrum. Der Ausblick durch

 sind? Nein, das hier war anders. Die
 Ich selbst kam aus einem Ort, an
 das Fenster bestand aus einer ver-
              olgende Punkte rundeten
 dem mich Schneehaufen und stür-
 Üppigkeit der Vegetation beruhigte
 schwommenen Mischung aus   einem grauen Himmelsdach bestimmt   offenen Armen zu begrüßen.   stäbliche) Brotbrechen mit Freunden.
 Wind und Regen – mit einem Hauch   mich und die frische Luft füllte meine   zende Temperaturen häufig nach   F  außerdem meine Liste von Lieb-
 von Nebel, der zum Teil meinen Trä-  Lungen. Dieser saubere Duft passte zu   drinnen trieben. Umso mehr war ich   lingsbeschäftigungen an Regentagen
 nen zu verdanken war. Ich kauerte   einem frischen Neuanfang.  darauf erpicht, den Spaß hier mitzu-  ab: in einem Café in Deckung gehen,  Foto: Destination Canada/Brian Caissie
 mich vor Verlegenheit zusammen,   Mein neues Leben entfaltete sich   machen. So tauschte ich meine   einen gemeinsamen Tee bei einem
 damit es vom Fahrer unbemerkt blieb.   auf dem Höhepunkt des Winters an   Mütze gegen einen Regenschirm und   Dim-Sum-Essen genießen oder einen
 Doch während ich nach einem   der Westküste, und meine Akklimati-  meine Winterstiefel gegen Gummi-  Cocktail schlürfen, während man die
 Taschentuch kramte, wurde ich von   sierung dauerte nicht lange. Ich   stiefel ein.    durchnässten Knochen langsam
 den aufleuchtenden Farbtupfern auf   lernte, dass sich ein leichter Sprühre-  trocknen lässt. Letztlich war die
 der anderen Seite der Fenster abge-  gen in Vancouver in einen misstö-  it der passenden Ausstattung   Menge an Zeit, die man draußen ver-
 lenkt: alle in Grün. Grün hing an den   nenden Regenguss verwandeln kann  M  wurde ein Spaziergang durch   bracht hatte, nicht entscheidend –
 Bäumen und an den manikürten   – mitunter von der vertikal fallenden   den Queen Elizabeth Park oder ent-  der Regen gab und gibt einem immer
 Hecken. Es färbte große breite Flä-  Sorte –, aber das schien den Einhei-  lang des Jericho Beach, ja sogar eine   die Erlaubnis, es sich drinnen gemüt-
 chen in den Parks und entlang der   mischen wenig auszumachen.  Fahrradtour entlang der Stanley   lich zu machen.
 Straßen. Und das im Winter – wie   Der durchschnittliche jährliche   Park Seawall zu einem relativ trocke-  Diese Lehre kam mir Monate
 konnte das sein?     Niederschlag  in der Stadt  beträgt   nen, sogar ungetrübten Vergnügen.     später in Tofino an der Westküste
 1.153 Millimeter. Das bedeutet, dass   Ich merkte bald, dass es mir Spaß   von Vancouver Island zehnfach
 ch öffnete das Fenster einen Spalt-  den Einheimischen hier gar nichts   machte, in die Höhen des Capilano   zugute: Sturzregen, orkanartige
 I breit und sinnierte über meine   anderes übrig bleibt, als sich ernsthaft   Suspension Bridge Park zu steigen,   Winde und riesige Wellen sorgten für
 neue Realität. Ich hatte gerade die   Gedanken um geeignete Kleidung zu   die Wege über 30 Meter oberhalb des   mein erstes Stormwatching-Erlebnis.
 Prärie verlassen, die zehn Jahre lang   machen, wenn sie sich auch draußen   Waldbodens zu überqueren und auf   Hier konnte ich so viel oder so wenig
 meine Heimat gewesen war, um mit   aufhalten wollen.  den schmalen, frei schwingenden   von Mutter Naturs Rage genießen,
 meinem Mann an die Westküste zu   Ich  fand  heraus,  dass  Goretex   Brücken entlang der Cliffwalks zu   wie ich Lust hatte. Die Idee, sich
 ziehen und mich auf ein neues Aben-  unerlässlich ist und Zwiebellook zum   balancieren. Meine Wanderschuhe   unter eine warme Decke zu kuscheln
 teuer einzulassen. Wir kannten nie-  bevorzugten  Kleidungsstil  zählt.   zu schnüren, um die Pfade am Lost   und die an die Küste peitschenden,
 manden in dieser uns fremden Stadt,   Dabei lernte ich Outdoormarken aus   Lake und Train Wreck vor dem ers-  sechs Meter hohen Wellen zu beob-
 und die Vorfreude war auch mit   BC wie Mountain Equipment Co-op   ten Schneefall in Whistler zu erkun-  achten, klang verlockend. Mit raum-  Früher gefürchtete Küste, heute ein Anziehungspunkt: Die Winterstürme locken
 Anspannung gefärbt.  (MEC) und Arc’teryx kennen, ins   den, wo die moosbedeckten Wälder   hohen Fenstern  in  ihrer Lookout   Gäste in die gemütlichen Lodges.
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