Page 35 - KANADA Magazin 2023
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ALBERTA
          Jung geblieben: Seine fast 90
          Jahre sieht man Bergmann
          Bob Moffatt nicht an (links).
          Traum für Fotografen:
          „Hoodoos“ heißen die
            skurrilen Felsgebilde (rechts).



          Über 80 Stufen geht es den Förder­
          turm  nach  oben.  Mit  Helmen  und
          Zechenlampen ausgestattet, klettern
          die Besucher an den Transportbän­
          dern entlang, auf denen die Kohle
          einst sortiert wurde. Am Ende errei­
          chen sie im Fels gegenüber die Stol­
          len. Ein paar Schritte noch, ein kurzer
          Blick, dann geht es zurück.

               ank starker Erosion sowie dem
          D  permanenten Wechsel von
          Wind, Regen und Frost wurden in
          den Badlands viele Kohleflöze bis
          nahe   an  die   Erdoberfläche
          geschwemmt. Von den gewaltigen            Park zwei Autostunden weiter östlich.   stolpern“, verspricht er – und hält
 Fotos: Jörg Michel  Fans von Tyrannosaurus Rex & Co:   Jahrmillionen eine Mondlandschaft   gigen Touren führt Lloyd Besucher
                                                    Dort hat der Red Deer River über
          Kräften der Natur profitieren auch
                                                                                   Wort.
                                                                                      Auf mehrstündigen oder mehrtä­
          In kaum einer anderen Region der
                                                    geschaffen, die wie der Grand Canyon
          Welt findet man so viele versteinerte
                                                    sichtspunkt hoch über dem Tal wirkt
          Dinosaurierknochen wie dort.              im Kleinformat aussieht. Vom Aus­  bis zu den Knochenbetten, in denen
                                                                                   die Wissenschaftler graben.  Die
            Besonders gilt das für Drumheller,      das Gelände wie ein riesiges Wasch­  Relikte ragen aus dem Erdreich her­
 ob Moffatt hat ein feines   fatt als Hausmeister für die Sicherheit   viele Kanadier wissen nur wenig über   nur eine Viertelstunde weiter nördlich.   brett aus Fels und Sand.  aus oder liegen verstreut im Sand. Im
 Gehör. Der Bergarbeiter aus   zuständig. Jeden Freitag inspiziert er   die Region, die zwischen dem Städt­  Im Ortszentrum grüßt eine riesige   Knochenbett Nummer 30 kann man
 B  dem Drumheller Valley ist   die  alten  Stollen  und  Tunnel,  um   chen  Drumheller  und den Grenzen   Dinosaurierfigur aus Gips, echte Dinos   s ist früher Morgen, über der   in manchen Jahren sogar selbst fach­
 fast 90, doch wenn im Stollen die Bal­  sicherzugehen, dass sie nicht einstür­  von Saskatchewan und den USA liegt.   gibt es im Royal Tyrrell Museum zu   E  Prärie ist gerade die Sonne auf­  gerecht graben, immer unter dem
 ken knirschen oder der Sand rieselt,   zen. Sein exzellentes Gehör kommt   Besucher aus Europa sieht man   sehen. Über 120.000 Fossilien und     gegangen. Die Luft ist frisch und   strengen Blick der Forscher natürlich.
 dann horcht er sofort auf. „Ich bin   ihm dabei zugute.   bislang wenige in der urwüchsigen   40 Skelette umfasst die Kollektion,   klar, es duftet nach Lavendel,   „Wir haben in den letzten Jahren
 eben ein Kumpel durch und durch.   Nebenbei plaudert der Ex­Kumpel   Gegend mit ihren waschbrettartigen   darunter der Altbertosau­  Marien gras und würzi­  mehr als 150 vollständige Dinoske­
 Da macht mir keiner was vor“,   gerne mit Besuchern. Er erzählt, dass   Canyons, Flussbetten, goldgelben   rier, benannt nach der Pro­  gen Kräutern. Millionen   lette gefunden“, erklärt Lloyd, wäh­
 brummt er in seinen zwirbeligen Bart,   es in der Region einmal 140 Kohle­  Präriewiesen und bodenständigen   vinz. Die weltweit einmalige   Von den   Fossilien hat die Erosion   rend ihm der Schweiß über die Stirn
 dann geht er an die Arbeit. Ein paar   bergwerke gab und dass die Badlands   Typen, die etwa so groß ist wie Portu­  Gattung wurde 1884 erst­    gewaltigen    in dieser Landschaft   läuft. Bis zu vierzig Grad heiß wird es
 Streben will er heute auswechseln – so   lange als das größte Kohlerevier in   gal. Ideal ist sie für Entdecker, die   mals vor  den Toren  der   Kräften der  Natur     freigelegt. Der Park gilt   in den Schluchten des Red Deer River,
 viel Vorsicht muss sein.    Kanada galten. Dass die Gruben zur   abseits der touristischen Hotspots das   Stadt entdeckt.  als einer der größten   Schatten gibt es kaum, auch kein
 Moffatt  arbeitet  seit  seinem  16.   prägenden Geschichte des Landes   Unbekannte und Überraschende   „Vor etwa 75 Millionen   profitieren auch   Dinosaurierfriedhöfe der   Trinkwasser. Dazu kommen Klapper­
 Lebensjahr für die Atlas Coal Mine,   gehören wie die transkontinentale   suchen in einem Landstrich, der sich   Jahren waren die Badlands   Fans von    Welt, als eine Art   schlangen, Kojoten und Kakteen. Er
 eine Kohlegrube in den Badlands,   Eisenbahn oder die Büffelsprung­  im letzten Jahrhundert nur wenig   ein Paradies  für  Dinos.     Sehnsuchtsort   für   warnt: „Pass immer genau auf, wo Du
 irgendwo auf halber Strecke zwischen   schanzen der First Nations. Bislang   verändert hat.  Hier befand sich ein Juras­  Tyrannosaurus     Wissenschaftler,  Kino­  Dich hinsetzt oder hinkniest.“
 Calgary und Saskatchewan. Über 40   werden sie jedoch eher selten   Einen ersten Überblick bekommt   sic Park aus subtropischen   Rex & Co.   gänger, Bücherwürmer
 Jahre lang wurde in dem Bergwerk   besucht.  man bei einer kurzen Bahnfahrt über   Urwäldern, Mooren, rei­  und Dinofans.  uf einem schnurgeraden High­
 nahe des Örtchens East Coulee Kohle      das Gelände der Atlas Coal Mine. Die   ßenden Flüssen und wil­  David Lloyd zählt sich   A way geht es anderntags bis in
 gefördert. Moffatt arbeitete erst als   ielleicht liegt es am Namen:   alten Kohlewagen zuckeln vorbei an   den Küsten“, erklärt Don Brinkman,   zu dieser Gruppe. Er arbeitet als For­  das Herz der Badlands, vorbei an
 Hilfsbursche auf der Kipphalde, später  V  Badlands heißt wörtlich über­  Prärieland und Kratern. Ab und zu   der lange als Paläontologe für das   scher und Gästeführer in dem rund   windschiefen Farmhäusern, rostigen
 wurde er Bergmann – wie schon sein   setzt „schlechtes Land“, und das ist   sieht man geologische Formationen,   Museum arbeitete. Nirgendwo sonst   80 Quadratkilometer großen Park,   Autowracks, hölzernen Getreidespei­
 Vater und sein Großvater.   kein Zufall. In der kargen Prärie­  die  sogenannten Hoodoos, die wie   auf der Welt wurden in den letzten   der zum Weltkulturerbe gehört.   chern, durch Siedlungen, die kaum
 Vor einigen Jahren schloss die   region im Südosten von Alberta ist   Pilze aussehen. Schließlich stoppen   hundert Jahren so viele Knochen   „Aufgrund der starken Erosion im   einer kennt. Irgendwann taucht ein
 Mine,  wurde  unter  Denkmalschutz   das Wetter oft harsch, allerorten sieht   die Wagen an einem Förderturm und   gefunden wie in den Badlands.  Tal des Red Deer River ist es fast   Schild am Highway auf. „Alberta Spe­
 gestellt und zu einem Freilicht­  man brachliegende Felder, verlassene   der hölzernen Kipphalde, der letzten   Hautnah erleben können Reisende   unmöglich, hier nicht irgendwann   cial  Areas“  steht  darauf,  dazu  die
 museum umgebaut. Seitdem ist Mof­  Farmen, stillgelegte Minen. Selbst   ihrer Art in Kanada.    die Fossilien im Dinosaur Provincial   über versteinerte Dinoknochen zu   Karikatur eines Cowboys.

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